Eine der merkwürdigsten Briefmarken der Deutschen Bundespost stammt aus dem Jahr 1970. Es handelt sich um eine Gedenkmarke, denn der Publizist und spätere Sozialist wurde seinerzeit vor 150 Jahren geboren. Er lebte von 1820 – 1895. Friedrich Engels war ein Zeitgenosse von Karl Marx und gilt, gemeinsam mit selbigem, als Begründer des Marxismus und gefeierter Held im Sozialismus. Er ist also eine „historische Persönlichkeit“. Mein Bild von Friedrich Engels ist das eine älteren, bärtigen Mannes.
Zum Vergleich hier die Briefmarke aus der DDR aus dem Jahre 1970. Hier wird Friedrich Engels eher so dargestellt, wie ich ihn vor Augen habe. Es stellt sich also die Frage: Was hat sich der Briefmarken-Gestalter, besser gesagt: Künstler, dabei gedacht? Seine Marke sieht sehr modern aus. Auf einem leuchtend pink-rotem Hintergrund erscheint das Portrait eines eher jungen Mannes mit Schnauzbart, und zwar durch eine Raster-Ästhetik, die an heutige Poster-Druckverfahren erinnert. Die unterschiedlich großen blauen Punkte entfalten vor dem glühenden Hintergrund eine ungeheure Leuchtkraft.
Ich hätte bei ersten Betrachten eher an einen Protagonisten der Studentenrevolte von 1968 gedacht. Die Briefmarke für Benno Ohnesorg hätte so aussehen können, oder gar eine Baader-Meinhof-Serie. Da ich im Internet leider keine weiteren Infomationen gefunden habe, stelle ich die Frage hier einfach mal zur Diskussion: Warum sieht die Friedrich Engels Briefmarke der Deutschen Bundespost aus dem Jahr 1970 so aus, wie sie aussieht?
Hier die Briefmarke in groß:
Der Entwurf dieser Briefmarke basiert offensichtlich auf einem Foto von 1840 (?). Der Fotograph ist wohl unbekannt. Rechts ein Ausschnitt dieses Fotos (Klick auf das Bild öffnet die Quelle). Auch diese Vorlage wirkt schon ungeheuer „frisch“. Wenn man sich die komplette Fotografie anschaut, erinnert das irgendwie an Wildwest-Fotos vom Ende des 19 Jahrhunderts.
Wie auch immer: der Briefmarken-Künstler hat dieses Bild sehr bemerkenswert umgesetzt.
Die Briefmarken-Fälschung W.I. Lenin
Spannend ist übrigens noch eine weitere Geschichte, die mit dieser Marke zu tun hat. „Am 15. April 1970 tauchten in Frankfurt am Main Postsendungen mit einer angeblichen Briefmarke der Bundespost auf, welche den 100. Geburtstag W. I. Lenin (* 22. April 1870) würdigten. Die Marke ist in rot/schwarz gehalten und wurde im Offsetdruck mit einer Linienzähnung von 11 hergestellt. Es handelt sich hierbei um eine Briefmarkenfälschung zum Schaden der Post. Die Bundespost hat keine derartige Briefmarke herausgebracht. Der Briefmarkenfälscher konnte ausfindig gemacht werden und wurde damals zu einer Geldstrafe von 12.000 DM verurteilt“. Quelle: Wikipedia, siehe auch Spiegel von 1970. Super spannend auch der folgende Artikel aus dem taz-Blog: „Lenin zum Schaden der Bundespost„.
Ich würde sagen: diese Fälschung wäre ohne die ungewöhnlich moderne Gestaltung der Engels-Briefmarke gar nicht möglich gewesen.
Sehr geehrter Herr Missfeldt,
um Ihre Frage, warum die Friedrich Engels Briefmarke der Deutschen Bundespost aus dem Jahr 1970 so aussähe, kann nach kurzem googeln nur feststellen, daß das Briefmarkenmotiv auf eine Fotographie um etwa 1840 zurückgehen soll, deren Original wohl vielfach reproduziert wurde – wie hier in einem Schwedischen Blog zu sehen.
http://davidnessle.wordpress.com/2010/04/01/friedrich-engels-varldens-basta-kompis/
Wenn also Friedrich Engels in einem Alter, bevor seine Zusammenarbeit mit Karl Marx begann, als erinnernswert eingestuft wurde, könnte dies auf eine bewußte Abgrenzung gegenüber der DDR-Ikonographie der Wegbereiter des Marxismus/Leninismus gedeutet werden. Schließlich war die Einigung darauf, welches Motiv bzw. welcher Entwurf eine Briefmarke zieren solle, einer „unabhängigen Jury“ überantwortet, die ähnlich einem Rundfunkrat aus Vertretern aller gesellschaftlich relevanten Gruppen zusammengesetzt ist – und folglich den Parteienproporz genauestens spiegelt…
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Plep
Danke für den Hinweis, dass es eine „unabhängige Jury“ gab. Das war mir noch nicht bekannt.
Gern geschehen; als ich, im Alter von zwölf, dreizehn Jahren selbst, wenn auch nicht so recht systematisch, eine kleine Briefmarkensammlung zusammentrug, habe ich einmal das damals relativ aktuelle „Neue grosse Briefmarkenbuch“ von Helmut Nassauer (Deutscher Bücherbund Stuttgart, 1972) geschenkt bekommen, worin auf S. 20 bereits das Stichwort fällt: Die Briefmarke ist zum Kulturträger geworden, […] zum Kleinstplakat […]. Auf S. 89 wiederum zitiert der Verfasser den Journalisten Hans-Jürgen Köppel: „Es mag erstaunen, daß die Briefmarke bisher noch nie unter ihrem ernsthaftesten, am schwersten wiegenden Aspekt analysiert wurde: Als Träger politischer Werbung.“
Die Auswahl der Markenmotive und ihre farbliche Gestaltung war, auch wegen der daraus folgenden Kosten für den Druck, halt immer an ein den Mehrheitswillen treffendes Procedere gebunden.
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